Energie für alle Zwecke
Energiemix bedeutet eine Mischung verschiedener angebotener Energiequellen für einen Zweck, nämlich Stromerzeugung. Für erneuerbare Energien ergibt dieser Begriff keinen Sinn mehr, denn statt verschiedener Quellen für Strom gibt es als einzige Quelle erneuerbaren Strom und diesen für alle Zwecke in allen Sektoren. Die bisher unabhängigen Energiesektoren Strom, Gas, Wärme und Treibstoff wachsen auf dieser Grundlage zusammen, die Sektorengrenzen, deren Ursache die Energiequellen Kohle, Uran, Erdöl und -gas waren, verschwinden. Dieser Prozess, Sektorkopplung genannt, führt dazu, dass es am Ende nur noch einen Sektor gibt: den Stromsektor, welcher alle Energienachfragen bedient. Das bedeutet aber keinesfalls die viel zitierte “all-Electric-World“, nein im Gegenteil: alle Sektoren werden zwar primär mit erneuerbarem Strom versorgt, aber zu grossen Teilen in Form von Wasserstoff, Wärme und weiteren Energieträgern.

Häufig wird mit Blick auf Wasserstoff behauptet, dies sei eine überflüssige Wandlung, die nur die Verluste erhöhen würde. Unzweifelhaft haben die Wasserstoffherstellung und -nutzung Verluste, wenn auch deutlich geringere als jeder Ottomotor. Das Wesentliche aber liegt ganz woanders: etwa die Hälfte der erneuerbaren Energieproduktion entfällt in einer erneuerbaren Energiewelt auf Zeiten, in denen die Stromerzeugung höher ist als der mögliche Stromverbrauch. Das liegt daran, dass die Windenergie mit der 3. Potenz der Windgeschwindigkeit steil zunimmt und diese Steilheit bei Solarenergie sogar noch grösser ist. Es ist schlicht unmöglich, den Energieverbrauch an die Erzeugung anzupassen. Das ist aber auch nicht erforderlich – denn genau dafür gibt es die Wasserstofferzeugung. Diese ermöglicht es, Angebot und Nachfrage wieder in Übereinstimmung zu bringen. Kurz gesagt: ohne einen hohen Anteil von Wasserstoff als Speicher hätte ein erneuerbares Energiesystem etwa 20% weniger Verluste, bräuchte aber die doppelte Energieerzeugungskapazität, von der Hälfe abgeregelt würde. Letzteres wäre offenbar sehr ineffizient.
Das macht die Sektorkopplung so interessant: sie führt zur zeitlichen Verschiebung der Nutzung erneuerbarer Energie gegenüber ihrer Erzeugung. Dies wird durch vielfältige Speicher, wie Gasspeicher, die Nutzung der vorhandenen Gasinfrastruktur, Wasserstofftankstellen, Wärmespeicher, Wärmenetze und Akkumulatoren möglich. Damit löst sich das Problem der Fluktuation der erneuerbaren Erzeugung in Luft auf: was an Strom aktuell nicht benötigt wird, das wird für andere Zwecke eingespeichert – und wenn die Stromerzeugung nicht ausreicht, wird auf einen Teil der eingespeicherten Energiemengen zurückgegriffen.
Durch die Gewinnung speicherbarer Energieträger nimmt die Sektorkopplung die Fluktuationen aus dem Stromsystem und schafft so die erforderliche Systemstabilität. Hier eine Visualisierung dazu…
Es gibt auch klassische Beispiele für Sektorkopplung: Auf der Verbraucherseite ist hier die Nachtspeicherheizung zu nennen, also die Einspeicherung von nachts nicht benötigtem Strom aus Kern- oder Kohlekraftwerken in Wärmespeichern. Auf der Erzeugerseite ist dies die Kraft-Wärme-Kopplung, wo die Abwärme der Stromerzeugung zur Gewinnung von Warmwasser für Heizzwecke genutzt wird. Auch Elektrolokomotiven und elektrisch betriebene Triebfahrzeuge sind klassische Fälle der Sektorkopplung.
Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien und dem Wegfall von Kohle, Öl und Erdgas als Energieträger reduziert sich die Auswahl an Energieträgern für die einzelnen Sektoren deutlich – und zwar auf Wasserstoff, Warmwasser und Akkumulatoren. Alle können aus erneuerbar gewonnenem Strom erzeugt bzw. geladen werden.
Sektorkopplung ist grösstenteils die Erzeugung speicherbarer Energieträger.
Zwar ist die direkte Nutzung erneuerbaren Stromes über die Fahrdrähte der Bahn auch eine Art Sektorkopplung, jedoch trägt sie mangels Speicher nicht zur Stabilisierung des Energiesystems bei und ist eben nur ein Teil der Lösung.
Wie sieht Sektorkopplung künftig aus? Windkraft- und Solaranlagen erzeugen bei hohem Wind- bzw. Sonnenangebot eine sehr hohe Leistung: 75% ihrer Energie produzieren diese Anlagen in nur 25% ihrer Betriebszeit. Die längerfristige Speicherung dieser Energiemengen ist am besten in Wasserstoff möglich. Der Wasserstoff wird dann von Fahrzeugen, als Energieträger in der Industrie oder zum Heizen eingesetzt werden. So steht erneuerbar gewonnener Strom gleichzeitig als Kraftstoff und Energieträger bereit und wird dem Stromsektor entzogen. Die Abwärme der Wasserstofferzeugung kann ihrerseits zu Heizzwecken genutzt werden. Das alles zusammen ist der Kern der Sektorkopplung. Sehr seltene Spitzen der Energieerzeugung können bei Windkraft direkt in Wärmespeichern bzw. bei PV in Kältespeichern nutzbar gemacht werden. Wärmepumpen ergänzen des System und erhöhen die Effizienz.
Erst diese Kombination ermöglicht einen optimalen und verlustarmen Energiemix. Würde man nur den Strommarkt allein betrachten, so müsste man große Mengen Windstrom abschalten und bliebe andererseits weiterhin vom Erdöl abhängig. Erst wenn der Kraftstoff- und Wärmebedarf ebenfalls aus Windkraft und Solarenergie gedeckt wird, ergibt sich eine sinnvolle und bezahlbare Lösung, die auch alle nötigen Speicher umfasst. So erhält man jederzeit genug Nachfrage und Stabilität, um die Angebotsschwankungen erneuerbarer Quellen auszugleichen.
Gleichzeitig bietet die Sektorkopplung erhebliche Chancen, vorhandene Infrastruktur weiter zu nutzen. An erster Stelle ist hier das Gasnetz zu nennen, welches Wasserstoff transportieren kann. Aber auch Lokomotiven können mit Brennstoffzellen ausgestattet werden, so daß das Bahnnetz nicht nur vollständig erneuerbar betrieben werden kann, sondern auch zum Transport von Wasserstoff in speziellen Waggons dienen kann.
Weiter ermöglicht die Sektorkopplung, die für die zweite Phase der Energiewende dringend benötigten Speicher günstig zu errichten, indem Speicher, welche ohnehin gebaut werden müssen, genutzt werden. Das gilt insbesondere für die Wasserstoffspeicher an allen zu errichtenden Tankstellen, wo grosse Energiemengen über längere Zeit gelagert werden können.
Der Einsatz kohlenstoffbasierter Energieträger aus erneuerbare Energien wird zwar viel diskutiert, ist aber wenig bzw. nur in geringem Umfang sinnvoll. Die Verarbeitung von Wasserstoff zu Methan oder weiter zu flüssigen Kraftstoffen ist nur sehr eingeschränkt sinnvoll, denn Methan läßt sich nur mit ca. 30% Wirkungsgrad gegenüber Wasserstoff in der Brennstoffzelle (60%) nutzen. Damit benötigt der Methanpfad die doppelte Energiemenge gegenüber dem H2-Pfad verbunden mit entsprechend höheren Kosten ohne viel Zusatznutzen.
Grundlegend aber bleibt, daß die Sektorkopplung die Grundlage für die Nutzung erneuerbarer Energien in allen Lebensbereichen darstellt und gleichzeitig die nötigen Flexibilitäten im Stromnetz ermöglicht.
Daher sind viele Definitionen der Sektorkopplung mit der Dekarbonisierung verbunden, wie z.B. die des BDEW: „Sektorkopplung ist die energietechnische und energiewirtschaftliche Verknüpfung von Strom, Wärme, Mobilität und Rohstoffen sowie deren Infrastrukturen mit dem Ziel einer Dekarbonisierung bei gleichzeitiger Flexibilisierung der Energienutzung in Industrie, Haushalt, GHD und Verkehr unter den Prämissen Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit.“
Sektorkopplung beginnt an der Energiequelle
Die Zwischenschaltung des öffentlichen Netzes für die Sektorkopplung ist überwiegend kontraproduktiv, denn die Sektorkopplung soll dazu dienen, die Fluktuationen aus dem Netz zu nehmen – dazu muß die Energieträgerherstellung oder Wärme-/Kältespeicherung vor der Netzeinspeisung erfolgen. Nur so können erneuerbarer Erzeuger tatsächlich zu Kraftwerken werden, die fluktuationsfrei nach Fahrplan arbeiten.
Für diese Kopplung von erneuerbarer Erzeugung und Wasserstofferzeugern oder grossen Wärme-/Kältespeichern ist nichts weiter einforderlich als eine preiswerte, kurze und nicht redundante Kabelverbindung.
Das Erzeugungsprofil der versorgenden EE-Anlagen spielt bei dieser direkten Kopplung keine Rolle mehr. Es ist Aufgabe des Stromerzeugers, seine Erzeugeranlagen optimal auf die Energieträgererzeuger und Speicher abzustimmen. So kann auch der bestmögliche netzdienliche Betrieb erreicht werden ohne die Netze zu belasten.
Die Einspeisung von Wasserstoff in Gasnetze ermöglicht, den teueren Netzausbau auf das erforderliche Mindestmaß zu reduzieren und statt dessen für Energietransport und -speicherung die viel billigeren Gasnetze zu verwenden.
Sofern die Erzeugung von Kraftstoffen oder Wärme aus Strom über öffentliche Netze überhaupt zulässig sein sollte, wäre vorzuschreiben, die der Bezieher des Stromes nachweisen muß, daß er alle damit verbundenen Netzkosten selbst trägt (eine Umlage dieser Netzkosten auf alle Stromkunden also nicht stattfindet). Weiterhin müßte er nachweisen, daß die von ihm verbrauchte Energie vollständig aus erneuerbaren Quellen stammt.
Energiebedarf und CO2-Vermeidung der verschiedenen Sektorkopplungen im Vergleich zur Netzeinspeisung
Bis heute wurde diejenige elektrische Energie, die in Erneuerbaren Erzeugungsanlagen hergestellt wird, fast ausschließlich im Stromsektor verwandt. Während Anfangs die CO2-Vermeidung hier am größten war, ändert sich dies in der 2. Phase der Energiewende. Aufgrund des immer höheren Anteils erneuerbarer Energie im Netz, wird der Effekt der CO2-Vermeidung bei anderen Technologien schnell größer.
So ist der Einsatz erneuerbaren Stromes in der Elektro- und Brennstoffzellen-Mobilität heute bereits aus CO2-Sicht effektiver als die Netzeinspeisung, da hier pro kWh höhere CO2-Einsparungen mit dem gleichen Einsatz von Energie realisiert werden. Die alte Logik „Einspeisen spart viel mehr CO2“ ist nicht mehr haltbar.
Ebenso gilt dies für den Ersatz fossil befeuerter Kraft-Wärme-Kopplung durch Windstromheizung und Einspeisung der Wärmemengen in Wärmenetze. Das größte Potenzial hierfür weist die Nutzung von Windenergiespitzen in großen Wärmespeichern auf. Diese so nutzbaren 3-5% des erzeugten Windstromes, für welche ein Netzausbau mit Sicherheit unwirtschaftlich wäre, umfassen heute bereits ca. 7 TWh.
Das Potenzial der bereits von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen zum Bau von 2 GW Power-to-Heat-Anlagen bei grossen KWK-Anlagen beträgt dagegen ausgehen von maximal 500 Benutzungsstunden im Jahr nur 1 TWh und krankt daran, dass die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen in den KWK-Anlagen nur ein klein wenig verringert, aber keinesfalls beendet wird.
Weiterführend geht es hier zur Lösungen zur Sektorkopplung und ihre CO2-Vermeidung.